Donnerstag, Mai 16, 2024

Kriegsdienstverweigerer müssen in Europa um ihr Leben zittern

1.
Lange galten sie als Feiglinge und Verräter: Männer, die nicht Soldaten werden oder bleiben wollen. Im Zweiten Weltkrieg wurden Wehrmachtsdeserteure oft sofort standrechtlich erschossen, wenn man sie aufgegriffen hatte. Manche wurden auf Himmelfahrtskommandos geschickt, also an Frontabschnitte, an denen ein Überleben besonders unwahrscheinlich war. Es war auch das Verdienst von überlebenden Opfern der NS-Militärjustiz wie Ludwig Baumann, dass Menschen, die nicht für die Nazis kämpfen wollten, rehabilitiert wurden. Und dass Kriegsdienstverweigerer nicht mehr ausgegrenzt wurden.

Auch die westdeutsche Friedensbewegung der 1980er Jahre trug dazu bei. In ihrer Hochzeit entstand auch der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung, kurz "KDV-Tag": Seit 1983 werden mit ihm alljährlich am 15. Mai international Menschen geehrt und unterstützt, die sich staatlichem Zwang zur Teilnahme an Kriegen und dem Militärdienst allgemein widersetzen. Heute gehört in Ländern wie Russland, der Ukraine und Belarus, aber auch in Israel, viel Mut dazu, den Dienst an der Waffe zu verweigern und sich dem Töten und der Todesgefahr zu entziehen. Denn dafür drohen oft hohe Haftstrafen.


Hier geht es weiter.



2. In einem weiteren Artikel berichtet das Neue Deutschland über zwei russische Kriegsdienstverweigerer (Vater und Sohn), deren Kirchenasyl von der deutschen Polizei gewaltsam beendet wurde.



3. Die Evangelische Friedensarbeit forderte gestern nachdrücklich Schutz und Hilfe für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure vor allem aus der Ukraine, Russland und Belarus. "Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, das auch in Kriegszeiten gilt", bekundete der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Friedrich Kramer.

"In Litauen hatte ich die Gelegenheit, mit Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Belarus zu sprechen", sagt Friedrich Kramer. Die persönlichen Schicksale seien dramatisch. "Teilweise droht den Asylsuchenden die Abschiebung nach Belarus, wo lange Haftstrafen oder eine Anklage wegen Hochverrats auf sie warten", so der EKD-Friedensbeauftragte. Dass in der Europäischen Union Menschen um ihr Leben zittern müssten, nur weil sie ihr Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung in Anspruch nehmen würden, sei für die Friedensnobelpreisträgerin EU unwürdig, sagt der Landesbischof.

"Belarussische Deserteure werden in Litauen vom Verteidigungsministerium als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft", kritisiert auch Gregor Rehm, der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche der Pfalz, der Friedrich Kramer bei seinem Besuch in Litauen begleitet hatte. Die Asylbehörden würden dieser Einschätzung folgen und entsprechende Bescheide erstellen, so Rehm. "Bisher war die gängige Praxis ohne gesetzliche Grundlage. Das scheint sich aber im Moment zu ändern. Es gibt Bestrebungen, diese Praxis in Gesetzesform zu gießen. Für die belarussischen Deserteure in Litauen bedeutet dies eine Katastrophe", so der pfälzische Friedensbeauftragte. Dies seien Beispiele, wie gefährdet das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung sei, so die Vertreter der Evangelischen Friedensarbeit im Raum der EKD.




4. Die Frankfurter Allgemeine berichtet über Aktivisten in Georgien, die russischen Deserteuren bei der Flucht helfen.



5. Die jungle world beschäftigt sich mit der Lage der Yeziden im Irak und blickt dabei auch auf den Völkermord durch den sogenannten Islamischen Staat zurück: "Wer nicht rechtzeitig floh, wurde meistens erschossen, insbesondere alle Männer."



6. Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, prangert Verbote, in Schulen und Behörden die geschlechtertrennende Gender-Sprache zu verwenden, als Verstoß gegen Grundrechte an. Begründeten Widerspruch dazu findet man im Magazin "Cicero" und in der Frankfurter Allgemeinen.



Mittwoch, Mai 15, 2024

Lässt Kinderkriegen das Gehirn schrumpfen?

1. Unter der Überschrift "Lässt Kinderkriegen das Gehirn schrumpfen?" beschäftigt sich Theresa Bäuerlein mit Veränderungen des Gehirnvolumens bei frischgebackenen Eltern: Das trifft nicht allein Mütter: "Betroffene Väter berichten auch von erhöhtem Stress und Schlafproblemen. Das könnte auf die emotionalen und körperlichen Belastungen durch intensive Elternschaft hinweisen – eine Herausforderung, die nun auch zunehmend Männer betrifft."



2. Unter jungen Frauen liegt es im Trend, nette Männer mit gutmütigen, etwas treudoofen Hunden zu vergleichen. Dagegen spricht sich Jana Felgenhauer im STERN aus:

Wollen wir den Macho zurück? Den Angeber, den Kläffer, den Beißer? Niemals! (…) Wir brauchen sie, die freundlichen Männer, die stillen Feministen. Die, die Kaffee ans Bett bringen, sich liebevoll ums Kind kümmern, ohne Aufforderung den Putzlappen schwingen, am Abend mit Hingabe Füße massieren.




3. In der Neuen Zürcher Zeitung beschäftigt sich Birgit Schmid mit dem grotesken Männerhass, der in der Mann-oder-Bär-Debatte deutlich wird:

Das ist das Männerbild einer Generation, die mit #MeToo aufgewachsen ist. Man mag über solche Befragungen lachen, bei denen sich die Antworten gegenseitig befeuern. Denn den meisten Frauen dürfte klar sein, dass sie die Begegnung mit einem Bären wahrscheinlich nicht überleben würden. Aber darum geht es nicht.

Das Thema Sexismus und sexuelle Gewalt ist in den Medien so gegenwärtig, dass der Eindruck entsteht, es werde immer schlimmer mit den Männern. Der absurde Mann-gegen-Bär-Vergleich offenbart ein Denken, bei dem der Mann natürlicherweise der Feind ist. Er stellt für eine Frau eine potenziell tödliche Gefahr dar allein deshalb, weil er ein Mann ist.

Wie also könnte man den Wald und überhaupt die Welt für Frauen sicherer machen? Indem die Hälfte der Menschheit daraus verschwindet.

Die Vision des heutigen Feminismus ist das Ende des Mannes. Damit verspricht man sich auch ein Ende von Sexismus und sexueller Gewalt. Aktivistinnen sehen in Männlichkeit ein Krebsgeschwür, das entfernt werden müsse. Werdende Mütter sind entsetzt über das männliche Geschlecht ihres ungeborenen Kindes, ein Bub wird als «waste of space» im Uterus angesehen. Der Hashtag #MenAreTrash verweist die Männer an ihren Ort: in den Abfall.

Diese radikalfeministischen Positionen knüpfen an Vernichtungsphantasien früherer Feministinnen an. Die Amerikanerin Andrea Dworkin bezeichnete Sex zwischen Mann und Frau in den 1970er Jahren als Vergewaltigung der Frau. "Terror strahlt aus dem Mann", schrieb sie, "Terror erleuchtet sein Wesen, Terror ist sein Lebenszweck." Sie stellte sich vor, wie man Männer ausschalten könnte – mit Highheels als Waffe.

Die Schriftstellerin Valerie Solanas träumte von einer Welt, in der ausschliesslich Frauen leben. Sie veröffentlichte 1971 ihr "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer". Die allerdings psychisch angeschlagene Männerhasserin setzte ihr Anliegen in die Tat um, als sie auf Andy Warhol schoss.


Im weiteren Verlauf ihres Artkels schildert Birigt Schmid ausführlich feministische Literatur, die in der Utopie einer Welt ohne Männer schwelgt. Dabei gelangt sie zu dem Fazit:

Vielleicht muss das aber auch einfach wieder einmal gesagt werden angesichts der gegenwärtigen Stimmung, wo Bären als weniger gefährlich angesehen werden als Männer. Eine Frau hat ihre "Mann oder Bär"-Antwort so begründet: "Du weisst bei einem Bären, was dich erwartet." Das stimmt wohl – und sie müsste um ihr Leben fürchten. Würden alle Frauen so denken wie sie, würde das eintreten, was sich ebenfalls niemand ernsthaft wünschen kann: eine Welt ohne Frauen.




4. In Österreichs "Falter" beschäftigt sich Florian Klenk mit der Verdachtskultur gegen Männer in Firmen:

Eine Angst geht um bei Männern: zu Unrecht der sexuellen Belästigung, eines "unangemessenen Verhaltens" beschuldigt oder auch einfach nur im Netz Opfer eines "Outcalls" zu werden. Einem Kollegen ist genau das im Herbst widerfahren. Über einen anonymen Twitteraccount warnte ein "anonymes Kollektiv" vor ihm, er sei ein Vergewaltiger. Mehr noch, das Kollektiv forderte alle dazu auf, die Rechtfertigungen des Täters nicht zu retweeten, denn das würde die "Opfer delegitimieren". Anzeigen wurden nie erstattet, doch der Mann wurde beruflich und sozial geächtet. Tausende retweeteten die anonyme Behauptung. Der Mann kämpft noch heute um die Wiederherstellung seines Rufs.

(…) Der Wert strenger Verfahrensregeln wird in Zeiten des digitalen Vigilantismus, also der Social-Media-Selbstjustiz, zu oft verkannt. Aber er ist wichtiger denn je, denn die stille Post in der redaktionellen vernetzten Gesellschaft führt in den Abgrund, wie der Fall Schilling zeigt: Aus einer unangemessenen Bemerkung wird schnell eine Belästigung, aus einer Belästigung ein Übergriff, aus dem Übergriff ein Missbrauch. Der Betroffene steht auf einmal einer anonymen Masse gegenüber, die sich im Recht wähnt, nämlich aufseiten des Opfers. Jede Verteidigung multipliziert das Gerücht, jedes Schweigen bestätigt es. Rechtsschutz gibt es dagegen nicht.

Juristen lernen daher einen ganz wichtigen Grundsatz: Strenge Verfahrensregeln dienen der Wahrheitsfindung und damit auch dem Opfer. Audiatur et altera pars. Kein Schuldspruch ohne faires Verfahren. Keine Strafe ohne Gesetz. Umittelbarkeit der Beweisführung, also direkte Konfrontation mit dem belastenden Material. Diese Regeln geraten in einer politisch korrekten Twitter-Schnelljustiz immer öfter in Vergessenheit. Dabei sind sie Antwort auf Unrechtserfahrungen. Auch den Interessen der Opfer wird mehr geholfen, wenn Sanktionen nicht auf Gerüchten aufbauen, sondern auf Fakten.




5. Die Ukraine will ihre Männer zurück – und erhält Rückendeckung aus der Schweiz.

Die konsularischen Dienste wurden für alle potenziell wehrpflichtigen ukrainischen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren von einem Tag auf den andern eingestellt. Sie können seither ihre Pässe nicht mehr erneuern und weder Zivilstandsangelegenheiten noch andere Formalitäten erledigen. (…) Wer dringend an Papiere gelangen muss, dem bleibt derzeit allerdings nichts anderes übrig, als in die Ukraine zu reisen. Und dort gilt: Kommt man für die Rekrutierung in die Armee infrage, darf man das Land nicht wieder verlassen. In der Diaspora geistern bereits Geschichten über Zwangsrekrutierungen herum.

(…) Doch Druck spüren die ukrainischen Flüchtlinge nicht nur aus der Heimat, sondern jetzt auch im Gastland. Für bürgerliche Schweizer Politiker ist nun der Moment gekommen, den betroffenen Männern den Schutzstatus abzuerkennen.

So findet der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, ein Mitglied der Staatspolitischen Kommission: "Wer in der Ukraine potenziell wehrpflichtig ist, hat keinen gerechtfertigten Anspruch auf den Schutzstatus S, denn dieser richtet sich vor allem an schutzbedürftige Frauen, Kinder und Alte." Die Schweiz solle der Ukraine bei einer allfälligen Rückholung der wehrpflichtigen Männer behilflich sein.

(…) Auch die SVP will ein entsprechendes Abkommen prüfen. SVP-Asylchef Pascal Schmid plant im Nationalrat eine Anfrage zum Thema. "Dass die Schweiz seit zwei Jahren auch fahnenflüchtige Männer aufnimmt und mit Steuergeldern unterstützt, führt den Schutzstatus ad absurdum", sagt Schmid. "Wir zeigen uns da sehr unsolidarisch mit der Ukraine, die an der Front völlig am Anschlag ist." Schmid regt an, sich den umgekehrten Fall vorzustellen: "Wäre die Schweiz in ihrer Existenz bedroht, hätten wir auch keine Freude daran, wenn andere Länder Hunderttausende unserer Soldaten beherbergen würden und noch glaubten, damit etwas Gutes zu tun."

"Wehrpflichtigen Männern den Schutzstatus abzuerkennen, tönt erst einmal brutal", sagt SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann. "Doch wenn sie in die Ukraine zurückkehren, wäre dem Land sehr geholfen. Und das müsste ja eigentlich auch im Sinne jener Kreise sein, die ständig nach Waffenlieferungen schreien."

(…) Andrei Luschniki, Präsident des Ukrainischen Vereins in der Schweiz, bezeichnet die Äusserungen der Politiker als "moralische und politische Bankrotterklärung".

"Es ist ein zynischer Versuch, das Ukraine-Problem zu lösen. Und das von Politikern eines Landes, das nicht einmal Drittländern erlaubt hat, schweizerische Waffen weiterzugeben, um der Ukraine zu helfen", sagt Luschniki. Er fragt sich, welche Botschaft man den Menschen vermittle, wenn man sie zuerst als Kriegsflüchtlinge aufnehme und zwei Jahre später einfach in den Krieg zurückschicke.




6. Inzwischen berichtet auch Spiegel-Online über das israelische Lager, in dem offenbar palästinensische Männer gefoltert werden, womit sich am Wochende bereits CNN beschäftigt hatte. Der Artikel schildert auch die deutsche Reaktion darauf:

Das Auswärtige Amt bezeichnete die Berichte als "zutiefst verstörend". Weiter hieß es, "Vorwürfe über psychische und physische Misshandlungen, die nicht zu rechtfertigen sind, müssen lückenlos aufgeklärt werden". (…) Das Auswärtige Amt teilte mit, seine Vorwürfe auch an Israel direkt gerichtet zu haben. Man setze sich dafür ein, dass das Völkerrecht geachtet und die Rechte von Gefangenen eingehalten werden. Ferner solle dem Internationalen Roten Kreuz Zugang zum Gefangenenlager gewährt werden.


Nach meinen bisherigen Erfahrungen in den sozialen Medien, wenn es um Israel geht. kann ich mir einige Reaktionen darauf schon ausmalen: "Unglaublich! Jetzt wollen Deutsche den Juden sogar schon sagen, wie sie ihre Lager zu führen haben!"

Das von Israelis und Palästinensern herausgegebene Magazin +972 wirft der israelischen Regierung vor, dafür gesorgt zu haben, dass grausame Praktiken an Orten wie Sde Teiman ungestraft fortgesetzt werden können, was einen Verstoß gegen internationales Recht und medizinische Ethik darstelle:

Am 4. April veröffentlichte Haaretz die Kopie eines Briefes eines Arztes, der im Feldlazarett von Sde Teiman arbeitet. (…) "Aus den Beschreibungen in dem Brief", so das Public Committee Against Torture in Israel (PCATI) in seiner Antwort, "geht zweifelsfrei hervor, dass es sich um Taten handelt, bei denen es den Tätern nicht um Ermittlungen und Rechenschaftspflicht geht, sondern um Grausamkeit und Rachsucht um ihrer selbst willen." Physicians for Human Rights - Israel (PHRI) erklärte ebenfalls, dass solche Praktiken "der Folter gleichkommen".

(…) Sde Teiman ist Teil eines Netzes von Militäreinrichtungen in ganz Israel, die eindeutig gegen internationales Recht und grundlegende ethische Normen verstoßen. Doch die Tatsache, dass solche Praktiken inmitten des andauernden Krieges in Israel stattfinden, ist leider nicht überraschend. Tatsächlich war es schon lange abzusehen.

Die israelische Regierung hat Monate damit verbracht, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Einrichtungen wie Sde Teiman mit beispielloser Straffreiheit arbeiten können. So hat die Knesset vor kurzem eine Änderung des "Gesetzes über die Inhaftierung illegaler Kämpfer" zusammen mit anderen neuen Notstandsverordnungen verabschiedet, die weitreichende Befugnisse zur Inhaftierung von Gefangenen ohne jegliche Aufsicht oder ein ordnungsgemäßes Verfahren einräumt.

Gemäß der neuen Änderung, die am 18. Dezember in Kraft getreten ist und vier Monate lang gilt, kann eine Person 45 Tage lang ohne Haftbefehl festgehalten werden, 75 Tage lang ohne gerichtliche Überprüfung ihres Falles, und 180 Tage lang wird ihr ein Treffen mit einem Anwalt verweigert. Die kumulative Wirkung dieser Vorschriften besteht darin, dass eine Person gefoltert werden und sogar sterben kann, ohne dass jemand von ihrer Inhaftierung oder den Bedingungen und dem Ort ihrer Inhaftierung weiß.

Nicht weniger gefährlich ist die Tatsache, dass die israelische Regierung auch nach der Bekanntgabe des Todes von 27 Gefangenen in Militäreinrichtungen seit Beginn des Krieges (und die Zahl könnte noch höher sein) nicht von dieser Politik abgewichen ist. Am 2. April wurde das Gesetz über die Inhaftierung illegaler Kämpfer (Änderungsantrag Nr. 4 und vorläufige Anordnung) in zweiter und dritter Lesung in der Knesset verabschiedet. Mit diesem Gesetzentwurf wird die Geltungsdauer der Vorschriften, die es Sicherheitsgefangenen gestatten, bis zu 90 aufeinanderfolgende Tage lang keinen Anwalt zu treffen, bis zum 31. Juli verlängert. Dies gilt zusätzlich zu vielen anderen technischen Verfahren und Beschränkungen, die die Möglichkeit eines Häftlings, sich mit einem Anwalt zu treffen, für Monate vereiteln können.

Die israelischen Behörden haben von diesen neuen Befugnissen der Freiheitsberaubung reichlich Gebrauch gemacht. Dem IPS-Quartalsbericht zufolge hielt das IPS bis März 2024 829 Gefangene (828 Männer und eine Frau) auf der Grundlage des Gesetzes über die Inhaftierung illegaler Kämpfer fest; seither ist die Zahl der Gefangenen im Gazastreifen Berichten zufolge um 150 Prozent gestiegen. Ebenfalls im März erreichte die Zahl der palästinensischen Gefangenen, die als "Sicherheitsgefangene" definiert werden, nach Angaben des IPS 9.077, darunter 3.582 Verwaltungshäftlinge, die ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten werden.

Entscheidend ist, dass das israelische Gesetzbuch Folter nicht ausdrücklich verbietet. Obwohl er die UN-Konvention gegen Folter unterzeichnet und ratifiziert hat, hat der Staat bisher davon abgesehen, ein Gesetz zu verabschieden, das Folter als Verbrechen definiert und eine Strafe für ihre Begehung festlegt. Das Fehlen eines solchen Gesetzes trägt wesentlich dazu bei, dass die Folter fortgesetzt werden kann und die Täter sich der Verantwortung entziehen können. Es schafft auch eine rechtliche Grauzone - eine Lücke zwischen israelischem und internationalem Recht -, in der Kriegsverbrechen und staatlich sanktionierte Folter ohne jegliche Kontrolle begangen werden können.

(…) Die Welt muss wissen, was in Israels Gefängnissen und Hafteinrichtungen geschieht, die ein wesentlicher Bestandteil des Krieges gegen Gaza sind. Es ist unsere rechtliche, moralische und menschliche Pflicht, diese entsetzlichen Bedingungen der Folter und des Missbrauchs aufzudecken und ihr sofortiges Ende herbeizuführen. Andernfalls ist das Einzige, was Sde Teiman von Guantanamo oder Abu Ghraib trennt, die räumliche Entfernung.




Dienstag, Mai 14, 2024

"Die Gaza-Krise, über die wir nicht sprechen"

Die linksliberale New Yorker Wochenzeitschrift "The Nation" hat gestern einen in weiten Teilen maskulistischen Artikel der Medizinerin Ira Memaj über Israels Vorgehen in Gaza veröffentlicht. ("The Nation" ist die älteste Wochenzeitschrift der USA, zu ihren Autoren gehörten Albert Einstein, George Orwell, Martin Luther King, Franklin D. Roosevelt, Jean-Paul Sartre, T. S. Eliot und Henry Miller.) Ich habe den Beitrag für Genderama übersetzt. Weiterführende Links auf Belegquellen findet man im Original.



In den letzten Monaten habe ich mir eine neue Morgenroutine angewöhnt. Ich erhitze den Teekessel, lege den Minzteebeutel und eine aufgeschnittene Zitrone auf den Tresen und setze mich dann an den kleinen Tisch in meiner Küche. Dort klappe ich mein Telefon auf und schaue mir die Schrecken an, die sich in Gaza abspielen.

Eines Morgens tauchten in meinem Feed ohne Vorwarnung Bilder von inhaftierten palästinensischen Männern und Jungen auf - einige von ihnen waren erst 12 Jahre alt -, die bis auf die Unterwäsche ausgezogen, mit verbundenen Augen und in Handschellen vom israelischen Militär abgeführt wurden.

Beim Durchblättern der Berichterstattung und der Empörung in den sozialen Medien fiel mir auf, dass ein Großteil des Diskurses diese Bilder nicht als das ansah, was sie waren: ein eindeutiger Beweis für sexuelle Gewalt.

Obwohl sie in mehr als zwei Dutzend internationalen Konflikten dokumentiert wurde, wird über konfliktbedingte sexuelle Gewalt (CRSV) gegen Männer und Jungen nach wie vor relativ wenig gesprochen. Diese Fälle sind schwer zu identifizieren und werden selten als Kriegsverbrechen anerkannt - was wiederum schädliche geschlechtsspezifische Normen reproduziert, die Frauen als die einzigen plausiblen Opfer von CRSV ansehen.

In den letzten sieben Monaten konzentrierten sich die Berichte über Gaza hauptsächlich auf Frauen und Kinder. Hierfür gibt es klare Gründe: Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts machen Frauen und Kinder fast 70 Prozent der gesamten Todesopfer in Gaza seit dem 7. Oktober aus. Durch die Bombardierungen wurden nicht nur fast eine Million Frauen und Mädchen aus dem Gazastreifen vertrieben, sondern auch die Gesundheitsversorgung von Müttern, Säuglingen und Kindern wurde durch die Zerstörung von Gesundheitseinrichtungen und die Einschränkung der Wasser- und Stromversorgung sowie des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten stark beeinträchtigt.

Um das Ausmaß der Bedrohungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit im Gazastreifen zu verstehen, müssen wir jedoch auch beleuchten, wie diese Schäden palästinensischen Männern und Jungen zugefügt werden und sie betreffen.

Seit dem 7. Oktober wurden mehr als 4.000 palästinensische Männer, Frauen und Kinder in Gaza inhaftiert. Im März berichteten die Vereinten Nationen, dass 1.002 palästinensische Gefangene (872 Männer und 26 Jungen), die freigelassen wurden, angegeben hatten, brutal geschlagen worden zu sein, gezwungen worden zu sein, über längere Zeit in Stresspositionen zu verharren (ein Mann wurde gezwungen, sich auf eine elektrische Sonde zu setzen, was zu Verbrennungen an seinem Anus führte), und/oder sexuell missbraucht worden zu sein (Schläge auf die Genitalien und Begrapschen).

Letzte Woche berichtete CNN in einem Bericht, der von israelischen Informanten veröffentlicht wurde, über grausame Foltermethoden an palästinensischen Gefangenen auf dem Militärstützpunkt Sde Teiman in der Negev-Wüste. Einer der freigelassenen Häftlinge aus dem Lager war Dr. Mohammed al-Ran, der Leiter der chirurgischen Abteilung des indonesischen Krankenhauses in Gaza, der sich daran erinnerte, dass ihm die Augen verbunden wurden, er sich unfreiwillig entkleidete, auf andere fast nackte Männer gestapelt wurde und manchmal gezwungen wurde, Zeuge von Folterungen an anderen Häftlingen zu werden. Dr. al-Ran erzählte von den Worten eines Mitgefangenen, der ihn bat, seine Frau zu finden und ihr mitzuteilen, dass es für sie besser sei, Märtyrer zu sein, als gefangen genommen und [im Lager] festgehalten zu werden.

Als ich die Bilder aus dem Gazastreifen sah, musste ich an das Jahr 2017 zurückdenken, als ich mit syrischen und afghanischen Flüchtlingen in Detroit arbeitete. Ich hörte oft Geschichten von Überlebenden sexueller Gewalt - sowohl Männer als auch Frauen - während ihrer Flucht vor bewaffneten Konflikten. Diese Erfahrungen haben meine Karriere im öffentlichen Gesundheitswesen geprägt, die sich auf sexuelle und reproduktive Gesundheitsrechte, einschließlich geschlechtsspezifischer Gewalt, in gefährdeten Bevölkerungsgruppen konzentriert. Vielleicht lag es an meinem beruflichen Hintergrund, dass ich die Bilder sofort als Beispiel dafür erkannte, wie CRSV gegen Männer aussehen kann. Vielleicht lösten die Bilder aber auch eine Kindheitserinnerung aus - eine Erinnerung, die sich nach einem anderen Völkermord gebildet hatte.

Es war 1999, und ich konnte nicht widerstehen, meine Mutter und eine Gruppe von Frauen zu belauschen, die sie zu einem arabischen Kaffee eingeladen hatte. Die Gäste baten oft darum, dass man ihnen aus dem Kaffeesatz liest, eine Praxis, die als Tabseer bekannt ist und als eine Form von Wahrsagerei dient. Nach ein paar Minuten nahm meine Mutter Faridas Tasse in die Hand. Sie war eine Nachbarin, die sich in unserer Stadt niedergelassen hatte, nachdem sie während der ethnischen Säuberung im ehemaligen Jugoslawien vertrieben worden war.

Nach ein paar nachdenklichen Minuten ergriff meine Mutter Faridas Hand und sagte: "Da ist ein Junge mit dem Buchstaben 'H'..." In Faridas Augen lag eine Traurigkeit, die ich nur so beschreiben kann, dass sie um jemanden trauert, der noch am Leben ist. Sie stieß einen Schrei aus, der sich anhörte, als wäre er in ihr begraben gewesen und darum kämpfte, herauszukommen. Später erfuhr ich, dass "H" Hakim war, der 1992 im Alter von 19 Jahren von serbischen Soldaten aus einem Dorf im Kosovo entführt, bis auf die Unterwäsche ausgezogen, brutal geschlagen und sexuell bedroht wurde.

Diese Art von Gewalt gegen Männer wurde lange Zeit als Thema vernachlässigt, obwohl es historische Belege dafür gibt, dass sie häufig vorkommt.

Vergewaltigung von Männern und Jungen wurde in mehr als 25 verschiedenen bewaffneten Konflikten dokumentiert, was darauf hindeutet, dass die Zahl der Vergewaltigungen viel höher ist als vermutet. In einem Konzentrationslager in Sarajewo wurden Berichten zufolge 80 Prozent der männlichen Häftlinge vergewaltigt. Während des Völkermords in Ruanda wurden Tutsi-Männer und Jungen häufig kastriert und zum Sex mit HIV-positiven Frauen gezwungen. Ein Bericht der Vereinten Nationen von 2018 über den Völkermord in Myanmar zeigt, dass Männer und Jungen vergewaltigt, genital verstümmelt und sexuell gefoltert wurden. Berichte aus Syrien zeigen, dass junge Männer, Jungen und Transgender-Frauen Opfer sexueller Gewalt sind, einschließlich sexueller Sklaverei, bei der inhaftierte Menschen gefangen gehalten und zur "Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse" der Aufseher eingesetzt werden.

Mehrere Studien haben im Laufe der Jahre die negativen gesundheitlichen Folgen für männliche Überlebende von CRSV aufgezeigt, darunter die Unfähigkeit, mit ihrer Partnerin sexuell aktiv zu sein, Genital- und Analfissuren, Harn- und Stuhlinkontinenz, Gedächtnisverlust, posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Selbstmordgedanken.

Doch so klar die Beweise sind, so klar sind auch die Gründe, warum Beweise übersehen werden. Interviews mit Richtern und Anwälten des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) ergaben, dass viele von ihnen patriarchalische und frauenfeindliche Ansichten über Überlebende hatten und bei der Untersuchung der Fälle von CRSV von ihren eigenen kulturellen Normen beeinflusst wurden.

Das Patriarchat macht Männer zu den Stützen nicht nur ihrer Familien, sondern auch ihrer Gemeinschaften. Wenn also ein Mann Opfer sexueller Gewalt wird, gilt er oft als entmannt und wird dem Geschlecht zugeordnet, das gesellschaftlich und kulturell als "minderwertig" gilt. So haben beispielsweise viele der Richter am ICTY, die mehrheitlich Männer waren, Fälle, in denen die Opfer sexueller Gewalt Männer waren, abgewiesen und zum Ausdruck gebracht, dass sie weibliche Opfer als zerbrechlich ansehen, was die Richter dazu veranlasst, keine Fragen zu stellen. Diese Abneigung gegen Zeugenaussagen hindert viele Überlebende daran, sich zu äußern.

Viele ethnische Gemeinschaften halten auch an der Vorstellung fest, dass weibliche Überlebende von CRSV mehr Mitgefühl verdienen, weil ihre körperliche und kulturelle Bindung an ihre Jungfräulichkeit unverhältnismäßig stark gewichtet wird. Darüber hinaus dient die Heteronormativität dazu, Männer zum Schweigen zu bringen, indem sie die Vergewaltigung von Männern mit Homosexualität in Verbindung bringt und beides benutzt, um Überlebende zu beschämen und zu stigmatisieren, insbesondere in einem Umfeld, in dem der Vorwurf der Homosexualität schwerwiegende Folgen hat, nämlich soziale und familiäre Ächtung. (In seinen Memoiren berichtet Nate Leipciger, ein Holocaust-Überlebender aus Polen, wie er während seiner Haft wiederholt von den nationalsozialistischen Aufsehern sexuell missbraucht wurde und wie schwer es ihm fiel, sein Schweigen zu brechen.)

Es mangelt auch an sozialen und rechtlichen Diensten speziell für männliche Überlebende. Medizinische Fachkräfte, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und andere Dienstleister, die sich um die von bewaffneten Konflikten betroffene Bevölkerung kümmern, sind oft nicht geschult oder in der Lage, die körperlichen und seelischen Schäden sexueller Gewalt bei Männern zu erkennen oder anzuerkennen.

Obwohl sexuelle Gewalt als Taktik des Völkermords zum ersten Mal in den 1990er Jahren von den Internationalen Strafgerichtshöfen für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda untersucht wurde - eine große Anstrengung, die von feministischen Koalitionen angeführt wurde -, bleibt die juristische Bewertung von CRSV überwiegend frauenzentriert, eine Sichtweise, die von den unüberwindlichen Beweisen geprägt ist, die zeigen, dass Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark durch CRSV geschädigt werden.

Erst mit der Resolution 2106 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013 wurde CRSV gegen Männer und Jungen ausdrücklich im internationalen Recht anerkannt. Doch auch nach der Verabschiedung der Resolution wird CRSV gegen Männer und Jungen von der internationalen Justiz weiterhin als Folter eingestuft, anstatt den sexuellen Charakter des Verbrechens anzuerkennen. Dies hat sowohl die Verurteilung der Täter als auch das juristische Verständnis von sexueller Gewalt allein in der Form von Vergewaltigung beeinflusst.

Die Reduzierung von CRSV auf Vergewaltigung ignoriert nicht nur die vielen Möglichkeiten, wie Menschen sexuell viktimisiert und geschädigt werden können, sondern hindert die Überlebenden auch daran, ihre Erfahrungen als solche zu erkennen, was wiederum ihre Entscheidung beeinflusst, ihre Erfahrungen zu melden. Ní Aoláin, eine irische Menschenrechtsanwältin, hat darauf hingewiesen, dass die rechtliche Bewertung anerkennen muss, dass CRSV auch aus damit zusammenhängenden Schäden besteht. Dazu gehören Fälle, in denen Männer unfreiwillig entkleidet werden, während des Verhörs sexuell bedroht werden, zu "Jungenspielen" (sexueller Sklaverei) gezwungen werden, zur Masturbation gezwungen werden, mit ansehen müssen, wie ihre Familienmitglieder sexuell missbraucht werden, und gezwungen werden, einen sexuellen Übergriff an jemandem - oft einem Familienmitglied - zu begehen.

Ich denke an Hakim und daran, dass seine Familie als Flüchtlinge keine andere Hilfe als Lebensmittel und eine vorübergehende Unterkunft erhalten hat. Ich denke an seine Mutter und frage mich, wie viele palästinensische Mütter denselben Schmerz und dieselbe Trauer um ihre lebenden Söhne empfinden. Ich denke auch an meine Erfahrungen in der Freiwilligenarbeit mit Überlebenden von CRSV in Michigan und ihre Wahrnehmung der psychiatrischen Dienste. Sie äußerten Bedenken darüber, wann sie Hilfe suchen sollten, machten sich Sorgen darüber, was ihre Nachbarn sagen könnten, oder versuchten sogar, ihre Erfahrungen zu verdrängen, indem sie z. B. sagten, sie hätten Glück gehabt, nicht vergewaltigt worden zu sein.

Israels Taktik der sexuellen Gewalt gegen Männer und Jungen in Palästina ist nicht neu. Aus einem Bericht von Save the Children vom Juli 2023 geht hervor, dass 69 Prozent der palästinensischen Kinder vom israelischen Militär unfreiwillig entkleidet und durchsucht wurden; einige berichteten von Missbrauch sexueller Natur.

Im Jahr 2021 wurde ein 15-jähriger palästinensischer Junge von israelischen Soldaten im besetzten Ost-Jerusalem festgenommen. Nach Unterlagen von Defense for Children wurde der Junge mit verbundenen Augen verhört und körperlicher Gewalt ausgesetzt, mit einem Gegenstand vergewaltigt und wiederholt auf seine Genitalien geschlagen. In einer Studie aus dem Jahr 2015, die Aussagen von palästinensischen Männern und Jungen enthält, die von israelischen Behörden verhört wurden, wurden verschiedene Formen sexueller Gewalt festgestellt, darunter verbale sexuelle Drohungen und Demütigungen, erzwungene Entkleidung, körperliche Übergriffe und Vergewaltigungen. In der Studie wurde auch festgestellt, dass nur wenige Überlebende ihre Aussagen vor Gericht einreichten; trotz der Beweise wurden die israelischen Täter nie verurteilt.

Palästinensische Männer und Jungen, die diese Art von Missbrauch erleiden, müssen sich auch mit dem Rassismus auseinandersetzen, der die Menschen so oft blind für ihre Erfahrungen macht. Die Darstellung arabischer und muslimischer Männer als Wilde, Terroristen und Missbrauchstäter verdrängt sie systematisch aus der Darstellung der Opfer, was wiederum die Unschuld der Überlebenden in Frage stellt. Das wurde deutlich, als die Medien begannen zu hinterfragen, ob es sich bei den unfreiwillig entkleideten und misshandelten palästinensischen Männern und Jungen um Zivilisten oder Terroristen handelte. Es scheint, dass das israelische Militär den Eindruck verfestigt hat, es handele sich um ausgewachsene palästinensische Männer, nachdem die Empörung in den sozialen Medien zu weiteren Fragen über ihre Masseninhaftierung und Identität geführt hatte. Später im Dezember wurde festgestellt, dass sich unter den Inhaftierten auch Kinder befanden. Die Serie von Ereignissen setzte sich fort, und weitere Nachrichtenquellen berichteten, dass die israelische Behandlung palästinensischer Gefangener der Folter gleichkomme.

Die Hierarchisierung der Formen sexueller Gewalt und ihrer Ziele ist in akademischen Fachzeitschriften, Forschungsarbeiten und Berichten humanitärer Organisationen weit verbreitet, was wiederum Einfluss auf Finanzierungsaufrufe und politische Maßnahmen hat, die auf die Bekämpfung und Eindämmung sexueller Gewalt abzielen. Darüber hinaus diktiert das Skript des "perfekten Opfers" von CRSV, das den Täter als aggressiven männlichen Soldaten und das Opfer als unschuldige weibliche Zivilperson darstellt, oft die Art und Weise, wie humanitäre Organisationen, Menschenrechtsorganisationen und Fachleute des öffentlichen Gesundheitswesens Daten über CRSV in bewaffneten Konflikten erheben und mit Maßnahmen und Interventionen auf diese Fälle reagieren. Leider haben diese Ansätze zu einer systematischen Auslöschung der männlichen Überlebenden von CRSV geführt.

Wir müssen die binären Annahmen über Geschlecht und CRSV hinter uns lassen und die soziopolitischen und kulturellen Kräfte anerkennen, die CRSV gegen Männer aufrechterhalten. Damit sollen die Erfahrungen von Frauen nicht geschmälert werden, sondern es soll betont werden, wie wichtig es ist, die oft übersehenen männlichen Überlebenden anzuerkennen und zu unterstützen. Internationale Gremien wie der Internationale Gerichtshof und der Internationale Strafgerichtshof sowie Organisationen wie die Vereinten Nationen und politische Entscheidungsträger müssen Erkenntnisse aus bewaffneten Konflikten in den Rahmen für den Umgang mit geschlechtsspezifischer sexueller Gewalt integrieren. Dies ist nicht nur für die Erweiterung unseres Verständnisses von CRSV entscheidend, sondern auch für die Ausarbeitung gerechter und ethischer Antworten. Trotz vieler Fortschritte im Laufe der Jahre lässt das internationale Recht Überlebende von CRSV, insbesondere Männer und Jungen, weiterhin im Stich.

Zu diesem Zeitpunkt meiner Morgenroutine läuft das Wasser aggressiv aus dem Teekessel. Während sich die Bilder aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland weiter verbreiten, schaudert es mich bei dem Gedanken an die Zerstörung, die ein Völkermord hinterlassen hat.

Ich denke viel über die Ausdauer und den Druck nach, dem palästinensische Männer und Jungen ausgesetzt sind. Ihr Mut, trotz der Gefahr, die ihr Leben bedroht, über ihre Erlebnisse zu berichten, geht mir nicht aus dem Kopf. Wenn ich jetzt, Monate später, dieselben Bilder sehe, wird mir klarer denn je, dass es dringend notwendig ist, konkrete Schritte zu unternehmen, um dieser sexuellen Gewalt ein Ende zu setzen, auch wenn der Weg dorthin unklar bleibt.




Da Genderama immer wieder neue Leser hat, verweise ich hier gerne noch einmal auf mein Buch "Sexuelle Gewalt gegen Männer. Was wir darüber wissen und warum wir dazu schweigen.". Dort wird dieses Problem auch im Zusammenhang von militärischen Konflikten ausführlich behandelt.



Montag, Mai 13, 2024

England: Notrufe von männlichen Opfern sexueller Gewalt um 80 Prozent gestiegen

1. Der britische Independent berichtet:

Eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich gegen sexuellen Missbrauch von Männern einsetzt, verzeichnet seit der Ausstrahlung der TV-Serie "Baby Reindeer" einen erstaunlichen Anstieg der Erstanrufer um 80 Prozent.

Die in Manchester ansässige Wohltätigkeitsorganisation "We Are Survivors" bietet Unterstützung für Männer, einschließlich trans- und nicht-binärer Personen, die sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung und sexuelle Ausbeutung überlebt haben.

Die Organisation teilte mit, dass sie seit der Veröffentlichung der Netflix-Hitserie - die einen Komiker dabei begleitet, wie er über vier Jahre lang von einer Frau unerbittlich belästigt und gestalkt wird und damit klar kommen muss, sexuell missbraucht worden zu sein - mit neuen Kontakten "überschwemmt" worden ist.

In den ersten zwei Wochen nach der Ausstrahlung der Sendung gab es einen 80-prozentigen Anstieg der Anrufer, die zum ersten Mal anriefen und um Unterstützung baten.

Bemerkenswerterweise nannten 53 Prozent der Anrufer "Baby Reindeer" als Grund für ihre Bitte um Unterstützung. Die Organisation verzeichnete auch einen 40-prozentigen Anstieg der Anrufe von jungen Menschen zwischen 26 und 35 Jahren.

Der Vorstandsvorsitzende und Gründer der Wohltätigkeitsorganisation Duncan Craig sagte, dass man zwar mit Drehbuchautoren zusammengearbeitet habe, um Geschichten von sexuellem Missbrauch von Männern in Serien wie "Eastenders", "Hollyoaks" und "Coronation Street" auf den Bildschirm zu bringen, er aber noch nie eine solche Reaktion wie auf "Baby Reindeer" erlebt habe.

"Früher haben einige Leute vielleicht Zeitungsinterviews gelesen und einen Monat später zum Telefon gegriffen", sagte er. "Aber bei Baby Reindeer war die Reaktion absolut sofort. In den 15 Jahren, in denen ich in diesem Bereich tätig bin, habe ich so etwas noch nie erlebt." (…) Er fügte hinzu: "Wir hatten Leute, die die Sendung gesehen haben und von dem Medienrummel in den sozialen Medien mitgerissen wurden, so dass sie dachten: 'Wenn alle darüber reden, kann ich das auch'."


Ich will gar nicht daran denken, was die Männerbewegung auch hierzulande gegen sexuelle Gewalt erreichen könnte, wenn sie von den Leitmedien nicht ausgegrenzt und angefeindet würde.



2. Die japanische Tageszeitung Mainichi berichtet ausführlich über männliche Opfer sexueller Gewalt:

Die Enthüllungen über sexuelle Übergriffe durch den verstorbenen Johnny Kitagawa, den Gründer des Titanen der Talentagentur Johnny & Associates Inc. (jetzt Smile-Up Inc.), haben die öffentliche Aufmerksamkeit auf Sexualverbrechen gegen Männer und Jungen gelenkt. Dies war nicht auf die Unterhaltungsindustrie beschränkt; in Japan gab es einen breiten Aufschrei über die Realität dieser sexuellen Viktimisierung und ihre Nachwirkungen.

Eines dieser Opfer ist Takeshi (ein Pseudonym), ein 40-Jähriger aus der Kanto-Region um Tokio, der nach einem Missbrauch an einer psychischen Erkrankung litt.

Als Takeshi in der zweiten und dritten Klasse der Grundschule war, spielte er oft mit einem Mädchen aus der Gegend, das ein Teenager war. Ihre Familie kannte seine, und eines Tages kam sie zu ihm nach Hause, als seine Eltern nicht zu Hause waren. Während sie spielten, rief sie aus einem anderen Zimmer: "Komm her". Als Takeshi das Zimmer betrat, war das Mädchen nackt.

Takeshi war verwirrt. Die Teenagerin sagte zu ihm: "Du bist der Böse" und "Sag es niemandem".

Später wurde der Junge in das Haus des Mädchens eingeladen. Er hatte ein "schlechtes" Gefühl, konnte aber nicht einschätzen, was vor sich ging. Als er ein Zimmer betrat, war die Teenagerin wieder nackt. Sie nahm Takeshis Arm und zwang ihn, ihre Brüste zu berühren.

"Interessiert dich so etwas?", fragte sie und sagte dann wieder in einem spöttischen Ton: "Du bist der Böse."

An einem anderen Tag zog sich das Mädchen in ihrem Zimmer nackt aus und zwang Takeshi, sie zwischen ihren Beinen zu berühren. Er wusste nichts über Sex und verstand nicht, was da mit ihm gemacht wurde. Aber es war ihm zu peinlich und er hatte Angst, sich zu bewegen.

Es dauerte nicht lange, bis sich das Mädchen und Takeshi entfremdeten und "die Ereignisse" aus seinem Gedächtnis verschwanden. Aber er begann, unter Schlaflosigkeit zu leiden.

In der Junior High School begann er zu denken: "Ich verdiene es nicht zu leben. Ich will sterben." Auch nach dem Eintritt in die Highschool und dann in die Universität blieb der Wunsch zu sterben bestehen. Seine besorgten Eltern brachten Takeshi in eine psychosomatische Klinik, aber dort konnte man die Ursache nicht finden.

Im ersten Jahr seines Studiums erzählte ihm eine Studienfreundin, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden war. Diese Geschichte weckte Erinnerungen an das "Mädchen aus der Nachbarschaft".

"Ich auch", sagte er.

Durch die Lektüre von Büchern über sexuelle Übergriffe glaubte er, die Ursache für seinen psychischen Zustand gefunden zu haben.

"Ich wollte, dass jemand den Schmerz versteht, den ich damals durchmachte", sagte Takeshi. Er wählte einen vertrauenswürdigen älteren Freund als Gesprächspartner, aber die Reaktion, die er bekam, war nicht das, was er sich erhofft hatte. Sein Freund lachte und sagte: "Ich beneide dich". Der Mann meinte es nicht böse.

Takeshi vertraute sich daraufhin zum ersten Mal seinen Eltern an und erzählte ihnen von seinen Erfahrungen. Sein Vater sagte ihm, er solle es vergessen. Seine Mutter sagte nichts.

"Ich schätze, sie wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten", überlegte Takeshi.

De psychische Erkrankung hielt auch nach Takeshis Eintritt ins Berufsleben an. Er hatte einen Job bei einer Wohlfahrtsorganisation und sprach mit seinem Chef über sein "traumatisches Erlebnis". Sein Chef stellte ihm einen Workshop vor, der von einer gemeinnützigen Gruppe durchgeführt wurde.

Die Teilnehmer teilten ihre schmerzlichen Gefühle miteinander und hörten Takeshi ernsthaft zu, als er ihnen von seiner sexuellen Viktimisierung erzählte. Anschließend schloss er sich einer Selbsthilfegruppe für männliche Opfer sexueller Übergriffe an, um seine Gefühle zu verarbeiten.

Erst nach einer Überarbeitung des japanischen Strafgesetzbuchs im Jahr 2017 konnten Männer rechtlich als Vergewaltigungsopfer anerkannt werden. Durch die Änderung wurde Vergewaltigung zum Straftatbestand des "erzwungenen Geschlechtsverkehrs" (jetzt "nicht einvernehmlicher Geschlechtsverkehr") und die Strafe wurde verschärft.

Als die #MeToo-Bewegung aufkam und 2019 in ganz Japan "Blumendemonstrationen" stattfanden, um die Abschaffung sexueller Gewalt zu fordern, war Takeshi dabei.

Nach der Lektüre eines Buches von Shiori Ito, einer Journalistin, die enthüllte, dass sie vergewaltigt worden war, und die ihren Peiniger vor Gericht brachte, kam Takeshi zu der Überzeugung, dass auch er "denen helfen wollte, die leiden." Heute arbeitet er für eine Selbsthilfegruppe für Opfer sexueller Übergriffe.

"Das Unterstützungssystem für männliche Opfer von sexuellem Missbrauch ist im Vergleich zum System für Frauen nicht gut organisiert", sagte Takeshi. "Ich wünsche mir öffentliche Unterstützung, z. B. in Form von Beratung, und ein Umfeld, das es Männern leichter macht, sich als Opfer zu melden. Ich wünsche mir auch mehr Verständnis und die Verhinderung von sekundärer Viktimisierung, bei der Opfer wie ich abschätzig behandelt oder dazu gedrängt werden, zu vergessen, was uns passiert ist."

Auch andere männliche Opfer sexuellen Missbrauchs melden sich zu Wort. (...) Satoshi (ein Pseudonym), jetzt in seinen 40ern, wurde als Schüler der Junior High School schikaniert. Eines Tages wurde er in einem leeren Klassenzimmer von männlichen und weiblichen Schülern umringt. Sie schlugen ihn, traten ihn und zwangen ihn zur Selbstbefriedigung. Sie lachten über ihn und nannten ihn "ekelhaft". Es war demütigend. Satoshi sagte jedoch, er habe dies nie als "sexuelle Viktimisierung" empfunden. Er dachte, dass nur Frauen sexuell angegangen wurden.

Reiji (ein Pseudonym), eine nicht-binäre Person in den 50ern, die körperlich als Mann geboren wurde, wurde von einem männlichen Bekannten zu sexuellen Handlungen gezwungen, als sie in der High School waren. Seitdem wird Reiji von Zweifeln geplagt, "dumm und schmutzig" zu sein. Als er beschloss, es zu wagen und einem männlichen Freund alles zu erzählen, war dieser amüsiert und sagte: "Wow!" Als Reiji es dann einer weiblichen Freundin erzählte, erwiderte diese: "Du bist keine Frau, also ist es nicht so schlimm." Reiji schloss daraus, dass er selbst kein Opfer von sexuellem Missbrauch war.

Satoshi und Reiji litten als Erwachsene an psychischen Erkrankungen und schlossen sich beide Selbsthilfegruppen an. Sie tauschten ihre schmerzlichen Erfahrungen aus, und beide bieten nun anderen Opfern sexueller Übergriffe Unterstützung an.

Hirokazu Miyazaki, ein Doktorand an der Graduate School of Human Science der Ritsumeikan-Universität, der sich mit männlichen Opfern sexueller Gewalt befasst, weist darauf hin, dass "männliche Opfer sexueller Gewalt schwer zu erkennen sind".

Missverständnisse und Vorurteile in Bezug auf sexuelle Übergriffe, die auf geschlechtsspezifischem Bewusstsein beruhen, werden als "Vergewaltigungsmythen" bezeichnet. Bei weiblichen Opfern laute ein Vergewaltigungsmythos, der zur Verteidigung der Täter dient: "Männer können nichts dafür, weil sie ihrem sexuellen Verlangen nicht widerstehen können."

Aufgrund der männerdominierten Gesellschaftsstruktur bestehe andererseits die Tendenz zu denken, dass "Männer nicht sexuell viktimisiert werden können" und dass "Frauen niemals sexuelle Übergriffe begehen würden". Daher falle es Männern oft schwer, sich zu melden.

Miyazaki wies darauf hin, dass "die Opfer selbst an die Vorstellung gebunden sind, dass Männer stark sein sollten, und es gibt viele Männer, die über ihre Viktimisierung nur als eine 'Geschichte' über eine interessante Erfahrung sprechen können".

Und selbst wenn sie sich anderen über ihre Viktimisierung anvertrauen, werden sie oft nicht ernst genommen, wie es bei Takeshi der Fall war. "Vor allem, wenn es sich bei dem Täter um eine Frau handelt, gibt es die vorgefasste Meinung, dass es 'harmlos und sogar ein bisschen Glück' ist, wenn eine Frau einen Mann zu sexuellen Handlungen zwingt", so Miyazaki. "Studien haben jedoch gezeigt, dass dies tatsächlich schwerwiegende Folgen für die psychische Gesundheit von Männern hat."




3. Kommen wir damit zu einem weiteren Thema, das von deutschen Leitmedien tabuisiert wird.

Auf einem Militärstützpunkt in der israelischen Negev-Wüste, der jetzt auch als Gefangenenlager dient, hat ein Israeli, der in der Einrichtung arbeitet, zwei Fotos von einer Szene gemacht, die ihn nach eigenen Angaben immer noch verfolgt. Man sieht eine Reihe von Männern in grauen Trainingsanzügen, die auf hauchdünnen Matratzen sitzen und mit Stacheldraht umzäunt sind. Alle scheinen die Augen verbunden zu haben, ihre Köpfe hängen schwer unter dem grellen Scheinwerferlicht.


Damit beginnt ein ausführlicher Bericht des US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN über Israels Folterlager. Er nennt Greultaten, über die Genderama schon vor Wochen berichtet hatte: Die Häftlinge wurden geprügelt, bis ihre Knochen brachen, wenn sie schliefen, wurden Hunde auf sie losgelassen, einigen wurden Gliedmaßen amputiert und so weiter:

Für diejenigen, die wiederholt gegen das Sprech- und Bewegungsverbot verstießen, wurden die Strafen härter. Israelische Wachleute brachten einen Gefangenen manchmal in einen Bereich außerhalb des Geheges und schlugen ihn aggressiv zusammen, wie zwei Informanten und [der ehemalige Gefangene Dr. Mohammed al-Ran] berichteten. Ein Informant, der als Wachmann arbeitete, sagte, er habe gesehen, wie ein Mann mit offenbar gebrochenen Zähnen und Knochen zurückkehrte.


Jetzt allerdings sind es Whistleblower aus der israelischen Armee, die über die Kriegsverbrechen sprechen, Damit wird es schwieriger, mit Begriffen wie "Pallywood" zu hantieren, wie es vor allem auf X (Twitter) seit Monaten geschieht. Auch können Menschen, die über diese Greuel sprechen, schwerer als "antisemitisch" oder "Hamas" verleumdet werden – oder als "Israel-Hasser" beziehungsweise "Juden-Hasser": Begriffe, die die Bildzeitung inzwischen manisch gegen Kritiker solcher Menschenrechtsverletzungen verwendet. Der CNN-Beitrag verleiht den Vorwürfen der Folter mehr Glaubwürdigkeit als frühere Berichte und erreicht eine deutlich größere Leserschaft. Von den deutschen Leitmedien berichtet (zumindest meiner Online-Sichtung nach) allein n-tv über die Berichte der Whistleblower, aber international werden sie zweifellos stark wahrgenommen.

Entsprechend heißt es von CNN:

Berichte über Misshandlungen in Sde Teiman sind bereits in israelischen und arabischen Medien aufgetaucht, nachdem israelische und palästinensische Menschenrechtsgruppen einen Aufschrei über die dortigen Bedingungen ausgelöst hatten. Doch diese seltene Aussage von Israelis, die in der Einrichtung arbeiten, wirft ein weiteres Licht auf Israels Verhalten während des Krieges im Gazastreifen, mit neuen Vorwürfen von Misshandlungen. Auch die wiederholten Beteuerungen der israelischen Regierung, sie handele im Einklang mit anerkannten internationalen Praktiken und Gesetzen, werden dadurch in Frage gestellt.


Die Berichte der palästinenischen Männer und der Whistleblower stimmen CNN zufolge miteinander überein. CNN hat seinen Bericht durch Satellitenaufnahmen ergänzt. Auch das Motiv für die Misshandlung der Gefangenen wird in dem Beitrag genannt:

"(Die Schläge) dienten nicht dazu, Informationen zu sammeln. Sie geschahen aus Rache", sagte ein anderer Whistleblower. "Es war eine Bestrafung für das, was sie (die Palästinenser) am 7. Oktober getan haben, und eine Bestrafung für ihr Verhalten im Lager."


Diese Meldungen liefern neuen Zündstoff für eine Debatte, in der die Ansichten ohnehin weit auseinander gehen. Am einen Ende des Spektrums sind Menschen, die für alle Untaten, die von Israel begangen werden, der Hamas die Schuld geben und keinerlei Kriegsverbrechen Israels sehen wollen, um stattdessen diejenigen zu dämonisieren, die diese Greuel anprangern. Am entgengesetzten Ende des Spektrums beharren Menschen darauf, das Massaker, das die Hamas-Terroristen am 7. Oktober begangen habe, sei genausowenig zu verurteilen wie der Aufstand im Warschauer Ghetto oder Sklaven, die rebellieren und ihre Sklavenhalter erschießen würden. (Mit den tatsächlichen Untaten am 7. Oktober haben beide Vergleiche wenig zu tun.) Extremisten beider Lager versuchen, die Greuel, die von der "eigenen Seite" begangen werden, zu rechtfertigen, und keiner von ihnen scheint bereit, Empathie für die Opfer im anderen Lager zuzulassen.

Trotz dieses sich gegenseitig hochschaukelnden Irrsinns gibt es noch gelungene Beiträge in dieser Debatte. Die beiden besten, die ich kürzlich gelesen habe, stammen von der Neuen Zürcher Zeitung und von dem jüdischen Hochschulprofessor Michael Barenboim.



Freitag, Mai 10, 2024

Männer, Bären, Bumble und Psychopathinnen

Manchmal gelingt es mir, die aktuellen Nachrichten zu einem übergrifenden Thema zusammenzufügen (etwa Ukraine-Krieg am letzten Montag). Heute sind die erwähnenswerten Beiträge thematisch sehr durchmischt.



1. In der "Welt" greift Hannah Lühmann die sexistische Mann-oder-Bär-Debatte auf, die wohl jeder Genderama-Leser mitbekommen haben dürfte:

Der Trend erweist, entschuldigen Sie den Kalauer, dem Feminismus trotzdem mal wieder einen Bärendienst. Auch wenn viele Internetznutzerinnen um der Debatte willen die Frage mit "Bär" beantworten, will ich die Frau oder den Mann sehen, die oder der sich freiwillig für die konkrete nächtliche Begegnung mit dem Raubtier entscheidet. Aus den Begründungen, die für die Antwort "Bär" gegeben werden, wird dann auch deutlich, dass die Antwort eher metaphorisch gemeint ist. Der Bär würde wenigstens nicht versuchen, mit einem zu schlafen, wenn man sich schlafend stelle, man müsse ihm danach auch nicht – wie einem männlichen Vergewaltiger – auf der nächsten Familienfeier begegnen. Halbwegs lustig, aber eine völlig unlogische Vermischung von Ebenen. Ich sage: "Mann".


Einer meiner Leser schrieb mir zu dieser "Debatte":

Man könnte Männern auch die Frage stellen: Würdest du lieber einen sehr schweren Verkehrsunfall haben oder eine Frau heiraten? Manche Antworten wären da bestimmt auch interessant.


Die sexistische Provokation war auch schon Thema bei Christian Schmidt, der einige clevere Antworten dazu zusammengestellt hat.



2. Die Dating-App "Bumble" sorgte für einige mediale Aufmerksamkeit, weil sie die einzige dieser Apps war, bei der nur weibliche Nutzer den ersten Kontakt mit den männlichen Nutzern herstellen konnten. Das wurde jetzt geändert, nachdem viele frauen auf diese Weise lernten, dass die Welt der Männer gar nicht so großartig ist, wie sie sich das immer ausgemalt hatten: Tatsächlich wäre das Aufbauen eines ersten Kontakts "eine Menge Arbeit" und "eine Belastung".



3. Die angehende Kinderärztin Dimitra Zazara erklärt im Gespräch mit dem SPIEGEL, wie Männer durch ihr Immunsystem im Nachteil sind:

Zazara: Bei Jungen – und später auch bei Männern – verlaufen Infektionen im Durchschnitt schwerer.

SPIEGEL: Also sollte man sich nicht über den Partner lustig machen, wenn er jammernd mit "Männergrippe" im Bett liegt? Er leidet wirklich stärker als eine Frau?

Zazara: Genau. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied bei bakteriellen Infekten wie etwa Lungenentzündungen. Hier sind Männer und Jungen meist deutlich schlimmer betroffen. Aber auch RNA-Viren, zu denen zum Beispiel Rhino-, also Schnupfenviren, Rotaviren, die schwere Durchfälle verursachen, und Coronaviren gehören, können Männer und Jungen in der Regel schlechter bekämpfen als Mädchen und Frauen. Das ist mit ein Grund dafür, warum die Säuglingssterblichkeit bei Jungen höher ist. Auch auf Frühchenstationen weiß man: Männliche Frühgeborene haben schlechtere Chancen zu überleben.




4. Kürzlich titelte die "Neue Zürcher Zeitung": "Nike begreift es selbst im Jahr 2024 noch nicht: Die Olympia-Kleidung der US-Leichtathletinnen ist sexistisch" Jetzt erklärt Tamara Wernli auf Youtube, warum diese Schlagzeile ein großer Unsinn war.



5. Schweizer Sozialdemokraten haben eine neue Maßnahme eingeführt: Nach drei Wortmeldungen von Männern muss sich zwingend eine Frau äußern. Die Idee wurde von einer klaren Mehrheit unterstützt.



6. Wie das Magazin Newsweek berichtet, steht eine steigende Zahl von Männern in Amerika dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung:

"Wenn die Arbeitsplätze nicht den Bedürfnissen der Menschen entsprechen, können die Menschen nicht arbeiten", sagte Yvonne Vissing, Professorin an der Salem State University und Expertin für die sich verändernde Rolle der Männer in der Gesellschaft, gegenüber Newsweek. "Es ist nicht so, dass sie nicht arbeiten wollen. Sie können es nicht, wenn man die Arbeitsmöglichkeiten, den Ort, die Aufgaben, die Arbeitszeiten, die Bezahlung und das Umfeld bedenkt, die zur Verfügung stehen."

(…) Durch die Verschiebung des Arbeitsangebots in der Industrie werden auch Männer in der Arbeitswelt an Boden verlieren, so Vissing. Die meisten Arbeitsplätze in Fabriken oder im verarbeitenden Gewerbe gibt es in den Vereinigten Staaten nicht mehr, und während MINT-Berufe nach wie vor sehr gefragt sind, gewinnen Gesundheits-, Bildungs- und Verwaltungsberufe zunehmend an Bedeutung, so Vissing. Diese Berufe werden aber häufig von Frauen ausgeübt.

Männer verlassen die Arbeitswelt möglicherweise auch aufgrund einer größeren Unzufriedenheit mit der kapitalistischen Gesellschaft, so Vissing.

"Viele Jobs sind einfach nicht befriedigend", sagte Vissing. "Für andere zu arbeiten, die den Nutzen aus unserer körperlichen Arbeit und unserem geistigen Eigentum ziehen, ist weder emotional noch finanziell lohnend. Die Menschen wollen Arbeiten verrichten, die uns etwas bedeuten. Wir wollen unsere Kreativität einsetzen. In vielen Unternehmen werden die Mitarbeiter einfach nicht mit dem Respekt und der Unterstützung behandelt, die wir brauchen und wollen. Die Menschen laufen ihnen davon."




7. Dem populärwissenschaftlichen Magazin Psychology Today wird die Zahl weiblicher Psychopathen unterschätzt. Ein Auszug:

Dr. Clive Boddy sorgte in den Medien für Aufsehen, als er behauptete, dass das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Psychopathen 1,2 zu 1 beträgt, es also bis zu fünfmal mehr weibliche Psychopathen gibt, als bisher bekannt war. Er glaubt, dass ein Grund dafür darin liegt, dass weibliche Psychopathen in ihrem Verhalten subtiler sind und es daher besser verstehen, unter dem Radar zu fliegen. In Kombination mit der Tatsache, dass unsere Instrumente zur Bewertung der Psychopathie und unsere Diagnosekriterien hauptsächlich auf der Grundlage männlicher Stichproben entwickelt wurden, hat dies zu einer Voreingenommenheit zu Lasten von Männern bei der Erkennung von Psychopathie geführt. Diese Voreingenommenheit, so argumentiert er, könnte dazu geführt haben, dass wir eine beträchtliche Anzahl weiblicher Psychopathen übersehen haben.

Die am weitesten verbreitete Bewertung von Psychopathie, die Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R), wurde ursprünglich an männlichen Straftätern validiert. Daher erfasst sie möglicherweise nicht vollständig, wie sich psychopathische Züge bei Frauen manifestieren. Beispielsweise konzentrieren sich die Items zum "psychopathischen Lebensstil" in der PCL-R eher auf offenkundige antisoziale Verhaltensweisen, wie z. B. Schlägereien oder zahlreiche kurzfristige eheliche Beziehungen. Dies sind keine Dinge, die antisoziale Frauen normalerweise tun. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass weibliche Psychopathen eher Eigenschaften wie verbale Aggression, emotionale Unbeständigkeit und dramatisches, aufmerksamkeitsheischendes Verhalten zeigen, die in der PCL-R nicht gut repräsentiert sind.

Darüber hinaus können gesellschaftliche Klischeevorstellungen, denen zufolge Psychopathie eine "männliche" Störung ist, Kliniker zögern lassen, Frauen als psychopathisch zu diagnostizieren, selbst wenn sie relevante Merkmale aufweisen. Eine weibliche Straftäterin, die oberflächlich charmant und manipulativ ist, könnte als "histrionisch" oder "Borderline" bezeichnet werden, während ein männlicher Straftäter mit denselben Merkmalen als Psychopath eingestuft würde.

Einige neuere Studien, in denen frauenspezifische Messgrößen verwendet wurden, haben ergeben, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Psychopathie möglicherweise viel geringer sind als bisher angenommen. Colins et al. verwendeten beispielsweise eine überarbeitete Version der PCL-R (PCL-R-2nd Edition) und stellten fest, dass die Prävalenz der Psychopathie bei männlichen und weiblichen Straftätern ähnlich hoch war.


Das erinnert mich an eine Untersuchung aus dem Jahr 1993, die ich dieser Tage bei der Recherche für eines meiner Buchprojekte entdeckt habe. Ihr zufolge hatten 73 Prozent der männlichen und 66 Prozent der weiblichen Studienanfänger schon mindestens einmal davon phantasiert, jemanden umzubringen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist auch hier nicht gewaltig.



Donnerstag, Mai 09, 2024

Trans Autor: "Hass auf Männer ist irre"

Am heutigen Feiertag setze ich mal aus mit den News und übernehme stattdessen den Beitrag eines jungen transsexuellen Publizisten in der Studentenzeitung "Michigan Daily":



Ich liebe es, ein Mann zu sein.

Als ich in einem eher konservativen Haushalt aufwuchs, schämte ich mich, meine Männlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Als Transgender-Mann habe ich das lange Zeit verleugnet, und der Tag, an dem ich beschloss, das nicht mehr zu tun, fühlte sich an wie die Heimkehr von einer anderthalb Jahrzehnte dauernden Arbeitsschicht, in der ich endlich meine Schuhe ausziehen und mich ausruhen konnte. Heute bin ich sehr stolz auf den Mann, der ich sein darf und zu dem ich heranwachse, sowie auf die Tatsache, dass männlich zu sein kein böses, lebenszerstörendes Schreckgespenst mehr ist, das über mir schwebt.

All diese Punkte sind einer der vielen Gründe, warum ich mich weigere, TikTok zu nutzen. Viele liberalere Bereiche auf der App - auch (und vor allem) Queer-Bereiche - neigen zu einer sehr negativen Rhetorik in Bezug auf Männer und Männlichkeit. Sätze wie "tötet alle Männer" oder "alle Männer sind Abschaum" sind häufig zu hören, wenn man online ist. Wenn ich einen Dollar für jedes Mal bekäme, wenn ich die Zähne zusammenbeißen und einen Freund ertragen muss, der mir so etwas ins Gesicht sagt, wäre ich vielleicht endlich reich genug, ein Jurastudium zu bezahlen.

Die Dämonisierung der Männlichkeit ist in den Online-Queer-Communities nichts Neues. Viele "Butches" und "Studs" haben berichtet, dass sie diskriminiert und unter Druck gesetzt werden, sich in Sapphic-Spaces weniger männlich zu geben. Trans Männern und trans-maskulinen Menschen wird entweder gesagt, dass unsere Trans-Männlichkeit nicht echt genug ist, um wie echte Männlichkeit verteufelt zu werden, oder dass wir Verräter an unserem Geschlecht sind.

Ich war schon oft in dumme Internetpolitik verwickelt. Da ich online einer Minderheit angehöre, wurde ich irgendwann mit allen erdenklichen Schimpfwörtern beschimpft, und in letzter Zeit wurde ich auf lustige Weise sowohl der Bi- als auch der Transphobie beschuldigt. Im Laufe der Jahre hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, den Aufstieg und Fall verschiedener Hassbewegungen zu beobachten. Oft tragen sie das gleiche Gift in sich, finden aber neue Wege, den Geschmack zu verbergen, damit es leichter zu schlucken ist. Das ist der Fall bei den TERFs, den Mitgliedern der radikalen feministischen Bewegung, die Transsexuelle ausschließt.

TERFs grenzen sich von anderen Feministinnen durch ihre Ablehnung von trans Menschen ab; sie behaupten, trans Frauen seien Männer, die sich als Frauen ausgeben, um in Räume für "echte" (Cis-)Frauen einzudringen, und trans Männer seien bestenfalls verwirrte und gehirngewaschene Mädchen. Schlimmstenfalls sind wir die bereits erwähnten Gender-Verräter. TERFs gehen von einem Schwarz-Weiß-Feminismus aus, bei dem 1) alle Männer eindeutig Unterdrücker sind und alle Frauen eindeutig von Männern unterdrückt werden, und 2) Frauen nur gewinnen können, wenn Männer verlieren. Sie weigern sich, irgendeine andere Komplexität anzuerkennen, zu der Faktoren wie Hautfarbe oder Klasse beitragen können. Diese Weltanschauung gibt auch Aufschluss über ihren Hass auf trans Personen - wir ruinieren ihr schwieriges Weltbild, indem wir uns entweder für die unterdrückte Seite (trans Frauen) entscheiden oder in einer Welt, in der das "Gewinnen" gegen ihre engstirnige Version des Sexismus das Nonplusultra ist, die Seiten wechseln. Wir müssen also Hintergedanken für den Übergang haben.

Obwohl TERFs sowohl bei Pro-Trans-Feministinnen als auch bei der lesbischen Gemeinschaft, die sie oft zu schützen vorgeben, äußerst unbeliebt sind, habe ich begonnen, eine Rhetorik rund um Männer und Männlichkeit zu bemerken, die online und in der Öffentlichkeit kursiert und gefährlich vertraut klingt. Als Elliot Page sich als transmännlich geoutet hat, gab es viele wütende Stimmen von Lesben, die darin einen Verrat sahen, ein Streben nach heterosexuellen und männlichen Privilegien oder einfach einen Schrei nach Aufmerksamkeit. Zwar gab es auch stolze TERFs, aber viele fühlten sich durch den "Verlust" einer Lesbe an die "andere Seite" wirklich verraten. Kurzmeldung: Es gibt keine "andere Seite". Männer sind nicht der Feind der Frauen. Männlichkeit und Weiblichkeit sind keine diametral entgegengesetzten Kräfte, so wie die Gleichberechtigung der Geschlechter weder ein Patriarchat noch ein Matriarchat ist. Es ist gleichermaßen ärgerlich und besorgniserregend zu sehen, dass Menschen in meiner Gemeinschaft sich so sehr dagegen wehren, Männlichkeit anzunehmen und mit ihr in Beziehung zu treten, dass sie lieber ein Rollenmodell verlieren, als das Gute in einem Mann zu sehen oder sich sogar dazu "verleitet" zu fühlen, dies zu tun.

Dies war die Grundlage für eine meiner klarsten Erinnerungen an mein erstes Studienjahr: Letztes Jahr hing ich mit einer Gruppe von Freunden ab, und aus einer Diskussion darüber, wer von uns in einem Horrorfilm zuerst sterben würde, wurde eine ganze selbst geschriebene Filmhandlung, die auf unseren Vorhersagen basierte (für die Neugierigen: ich kam als heimlicher Mörder in Frage). Ich fragte scherzhaft, ob ich in diesem Kanon immer noch trans wäre, da dies in das "Trans-Serienmörder"-Klischee fallen könnte, woraufhin einer meiner Freunde antwortete: "Natürlich, warum solltest du ein Cis-Mann sein wollen?" Ich erinnere mich, dass ich über diese Bemerkung unbehaglich gelacht habe - irgendwie war es alles, was ich jemals wollte: ein Cis-Mann zu sein. Versteht mich nicht falsch, Trans-Freude ist sehr real und ich bin glücklich damit; aber als ich lernte, was es heißt, ein Mann zu sein, waren fast alle Menschen, die ich ansah, Cis-Männer. Ich schaute auf diejenigen, die mir nahe standen - meinen Vater, meine Großeltern, meine Freunde - um zu erfahren, was die soziale Kategorie "Mann" in der modernen Welt bedeutet. Ich schaute auf Berühmtheiten, um zu lernen, wie ich mich ohne Scham in die Welt hinaus stellen kann. Einige meiner liebsten Seiten an mir stammen von den Männern in meinem Leben, und auf Gedeih und Verderb stammt auch ein Großteil meines Verständnisses von Männlichkeit von ihnen. Und natürlich habe ich die Unterstützung von Menschen wie meiner Freundin, um diese Männlichkeit zum Ausdruck zu bringen, solange ich noch kein Testosteron habe und leichter als "sie" und nicht als "er" wahrgenommen werden kann - aber werde ich das auch noch haben, wenn meine Stimme versagt und mir Gesichtsbehaarung wächst (Daumen drücken)? Oder werden sie auch entscheiden, dass ich zu sehr ein Mann und damit der Feind bin?

Ich sage nicht, dass meine Freundin eine TERF ist - ich bleibe schließlich ihr Freund. Vielmehr glaube ich, dass viele Frauen nicht über die Macht nachgedacht haben, die sie über trans Männer ausüben. Generell hat die moderne Queer-Bewegung online und im Allgemeinen die Angewohnheit, transmaskuline Themen zu ignorieren. Viele Leute wissen einfach nicht, was sie mit uns machen sollen. Meiner Erfahrung nach neigen Frauen dazu, sich auf meine weniger männlichen Eigenschaften zu konzentrieren, so als ob sie meinen Charakter nur auf meine weiblichen Eigenschaften zurückführen und den repräsentativeren männlichen Teil als Makel oder Macke betrachten, der im Moment ignoriert werden kann. Als jemand, der sowohl die Pronomen "er" als auch "sie" verwendet, ist mir aufgefallen, dass Männer dazu neigen, "er/sie" oder eine Mischung aus beidem zu verwenden, während Frauen mich fast immer mit "sie" ansprechen. Und das gilt definitiv nicht nur für mich. Die Tendenz der Menschen, die weicheren, traditionell weiblichen Aspekte von transmaskulinen Menschen zu betonen und uns zu infantilisieren, ist ein langjähriges Problem. Ein großer Faktor für das Geschlecht sind leider die Menschen um uns herum. Geschlechtsmerkmale und -kategorien werden von der Gesellschaft als Ganzes festgelegt; der Grund, warum das "Passing" für viele Transmenschen so wichtig ist, liegt in dieser Erfahrung. Deshalb ist es so schädlich, wenn TERFs behaupten, dass Trans-Männer nur Frauen sind, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurden oder fehlgeleitet sind, und deshalb ist es auch scheiße, wenn die Frauen in unserem Leben darauf bestehen, uns trotz unserer Selbstbestimmung in eine Art Schwesternschaft aufzunehmen.

Ich liebe es, ein Mann zu sein, und ich habe zu lange damit verbracht, zu verinnerlichen, dass es nicht schlecht oder böse ist, einer zu sein, um mich mit oberflächlichen Gender-Aktivisten zu befassen - mit echten TERFs oder einfach nur mit rücksichtslosen Bekannten - die mir das auch noch sagen. "Trans Männer sind Männer" ist nicht nur eine Instagram-Grafik, die du in deiner Story posten kannst. Dein trans-männlicher Freund ist ein Mann mit männlichen Gedanken und männlichen Bestrebungen, und wenn das für dich unergründlich ist, bist du kein trans-männlicher Verbündeter und solltest überlegen, warum du Männlichkeit zu einer Bestie aus Lovecraft'schem Horror gemacht hast. Ähnlich wie Lovecrafts Kreaturen beruht die Dämonisierung des Männlichen auf übertriebenem Ekel und der Weigerung, es zu verstehen; die "Bestie" könnte viel leichter zu verstehen sein, wenn wir aufhören würden, die Geschlechterdynamik auf eine so gegensätzliche Weise zu betrachten. Als jemand, der tatsächlich auf beiden "Seiten" der Erfahrung gestanden hat, ist Männlichkeit überhaupt nicht die andere Seite der Weiblichkeit; sie ist eher ein Schritt zur Seite. Lassen Sie sich von den TERFs nicht in die Irre führen. Hassgruppen sind darauf angewiesen, ein Ziel zu haben, auf das sie zielen und über das sie Angst schüren können, sei es eine Minderheit wie Transmenschen oder - wenn das nicht mehr ausreicht - die Idee der Männlichkeit selbst. Die Online-Radikalisierung ist ein rutschiger Abhang; machen Sie es ihr nicht leichter, indem Sie den ersten Schritt selbst tun.




Mittwoch, Mai 08, 2024

Süddeutsche Zeitung: "Habt Mitleid mit den Männern!"

1.
Frauen werden in der medizinischen Versorgung diskriminiert, heißt es oft. Aber viele Krankheiten treffen Männer härter. Zeit, auch ihre Probleme ernst zu nehmen.


Hier geht es weiter mit dem Artikel der Süddeutschen Zeitung. Ein Auszug:

Frauen haben es immerhin geschafft, für einen Teil ihrer gesundheitlichen Benachteiligungen beträchtliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. So wird beispielsweise immer wieder thematisiert, dass Herzinfarkte bei ihnen oft zu spät erkannt werden, weil die Symptome der weiblichen Herzen sich von denen der Männer unterscheiden, die noch immer ganz selbstverständlich als die Norm gelten. Ja, das ist ein Problem und wird zu Recht benannt.

Doch was ist mit dem Fakt, dass Männer insgesamt sehr viel mehr Lebenszeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verlieren als Frauen? Löst das bei irgendjemandem mehr als ein bedauerndes "Tja" aus? Es werde schon so lange hingenommen, dass Männer früher sterben als Frauen, dass dies mittlerweile fast als natürliches Phänomen erscheine, schrieben WHO-Experten bereits vor Jahren sehr treffend.

Und dies ist tragisch. Denn natürlich ist die schlechtere Gesundheit von Männern nicht allein naturgegeben. Das zeigt sich beispielsweise in der traurigen Tatsache, dass Männer in Europa mehr als dreimal häufiger Suizid begehen als Frauen. Oft liegen Depressionen zugrunde - eine Krankheit, für die es prinzipiell Hilfe gibt.


Dass es eine politische Bewegung gibt, die dieses Missverhältnis seit Jahrzehnten anspricht und sich dafür einsetzt, es endlich zu beheben, erfahren die Leser der Süddeutschen natürlich nicht. Immerhin aber wird unser gesellschaftliches Klima angesprochen, das dafür sorgt, dass sowohl diese Probleme als auch diese Bewegung in den Leitmedien weitgehend unsichtbar bleiben:

Denn eine Gesellschaft, die den alten weißen Mann lediglich als verachtenswertes Symbol für übermäßige Privilegien betrachtet, übersieht allzu leicht, was dieser Mann eben auch ist: ein verletzlicher, von Krankheit und zu frühem Tod bedrohter Mensch.




2. Durch die Aufhebung des Urteils gegen Harvey Weinstein habe sich für MeToo in Deutschland nichts geändert, befindet der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer auf Spiegel-Online und widerspricht damit aufgeregten Artikel von "Spiegel" und "taz".



3. Die EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling (Grüne) darf nicht mehr verbreiten, dass eine ihrer einst besten Freundinnen von deren Ehemann verprügelt werde. Aber ihr werden noch weitere Lügen vorgeworfen:

So soll sie über einen Journalisten behauptet haben, er habe sie belästigt. Das Medienunternehmen habe demnach Alarm geschlagen und eine Untersuchung eingeleitet, der Job des Redakteurs schien in Gefahr. Als dann der Journalist seine Chats mit Schilling offengelegt habe, sei klar gewesen, dass der Mann sich nichts zuschulden habe kommen lassen. In einem anderen Fall soll Schilling eine Affäre mit einem anderen Journalisten erfunden haben – dieser erwog demnach zu klagen, weil er um seinen Ruf fürchtete.




4. Die CDU-Politikerin Kristina Schröder kritisiert, dass die Wehrpflicht nach einer Wiedereinführung auch für Frauen gelten solle: "Was ist mit körperlicher Unterlegenheit, Verletztlichkeit?Und Frauen leisten Schwangerschaft, warum muss es auch noch Wehrpflicht sein?"



5. Muss die Vorhaut wirklich weg? fragt der SWR in einem halbstündigen Audio-Beitrag über die medizinische Beschneidung von Jungen.



6.
Väter in Elternzeit? Längst normal, oder? Wir haben bei fünf Vätern nachgefragt. Sie erzählten uns, wie sie sich entschieden haben, wie sie den Alltag mit Kind meisterten, was ihre Arbeitskolleg:innen sagten und ob sie es nochmal so machen würden.


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